Christoph Rihs:
"Kunst ist die Heimat der Fragen" 1
In dem Entschluss die alte Bus-Endstation zur Kunstzone zu erklären und mit der Beauftragung HansWalter Graf’s dem Haus eine Fassade zu schaffen, hat die Kunstkomission Steffisburg - als Verlängerung der Gemeinde und zumindest einiger Einwohner - der Kunst im Ort ein neues Gesicht gegeben.
Natürlich ist dieses Kunsthaus nicht der einzige Ort in Steffisburg, in dem Kunst gemacht oder gezeigt würde – das vorherige Kunsthaus oder die zwei Art Container Ausstellungen sind gewichtige Beispiele dieser anderen Kunst-Aktivitäten.
Nun aber beauftragt die Kunstkomission den Abriss dieses "Gesichts" - das kommt ja fast einer operative Entfernung dieses Symbols aus dem Herzen Steffisburgs gleich, einer "Ent-Kunst-ung" sozusagen.
Hätte man diesem Widerspruch auch anders begegnen können? Hätte man anstelle der Bezeichnung als Objekt "non grata" dies nicht als schützenswertes, neuzeitliches Bauwerk deklarieren können, nötige Befürworter finden, Einwände geltend machen und/oder Einspruch gegen den Bescheid erheben können?
Ist es auf Grund dieses Wissens, des Bewusstseins eigentlich Kunst entfernen zu müssen obwohl man ja Kunst fördern will - ist es also vielleicht eine Portion Gewissen die zu einer recht eigenwilligen Art des Abriss geführt hat?
Der Fassade, die als Kunstwerk geschaffen wurde, rückt man mit Kunst zu Leibe – das ist schon eine kreative Art Kunst noch einmal zu verwerten, zu recyceln: Künstler sind aufgerufen Kunst abzureissen!
Wie geht nun ein Künstler wie ich, der es liebt ortsspezifisch oder situativ zu arbeiten, dh auf einen Ort einzugehen, vor?
Den Abriss der vorgehängten Sperrholzfassade in Portionen zu bewerkstelligen sieht rein rechnerisch vor, dass jeder Kunstschaffende 20% dieser Holzverkleidung entfernt - ein kleiner Handlungsspielraum um auszudrücken was einem als Künstler wichtig ist.
Rechnerisch sind als Basrelief - dh subtrahierend gearbeitet – im Schnitt weniger als 3mm der Oberfläche zu entfernen. Oder eben 36m2 der gesamten Fläche zu entfernen - dies ist wiederum eine enorme Fläche gemessen an der üblichen m2 - Leistung eines Kunstmalers.
Falls einer zu wenig entfernt, darf der Nächste umso mehr abschlagen und der letzte hat von der ursprünglichen Fläche nur noch ein Fünftel zur Verfügung... Nüchtern betrachtet eine harsche Vorgabe.
Aber meine bohrenden Fragen drehten sich eher um "wo ist denn die Kunst in Steffisburg", um das "was machen denn die Künstler für Arbeiten", oder wer macht denn hier die Kunst" bis zu "was tun, wenn man die Kunst nicht findet", und wurden in meinem Kopf eigentlich zu einer zentralen Frage eingekocht: "was heisst denn Kunst in Steffisburg?", ja "was ist denn Kunst, auch in Steffisburg?
Nun wissen wir alle wie schwierig es ist solch eine Frage zu beantworten.
Karl Valentin sagte zB: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit"
Adorno drückt sich verwirrender aus: "Kunst ist Chaos in Ordnung zu bringen",
Böll meint schlicht: "Kunst ist Anarchie" und
Lawrence Weiner sagt: "Kunst ist Kommunikation"
Diese Beispiele zeigen auf wie wenig die Fragestellung hilft und wie diese vier Zitate die gewichtige Frage doch eher obfuskieren - ja, ich wähle jetzt absichtlich ein so fremdes Wort, da es seiner Bedeutung entspricht: Es vernebelt mehr als dass es aufzuklären hilft.
Und so kann man auch Ad Reinhardt's berühmten Satz der 60er Jahre verstehen:
"Kunst ist Kunst, und alles andere ist alles andere".
Aus diesen Gedanken kristallisierte sich also ein Konzept, das die Frage vor die Antwort stellt:
"Was ist KUNST?", fragt (sich) auch der Künstler, und antwortet vorerst:
"Kunst ist...."
Kunst ist Behauptung und Kunst ist Glaube.
Kunst ist verführerisch und Kunst ist unbequem.
Kunst ist störrisch, befremdlich, unverblümt und unwirtschaftlich.
Kunst ist Opfer und Macht.
Kunst ist apologetisch 2,
Kunst ist palliativ 3, Paradigma 4 und Parthenogese 5.
"Was ist KUNST?"
Kunst ist bedeutsam, unverblümt und Kunst ist befremdlich
Kunst ist tragisch, blauäugig, anbiedernd und manchmal beleidigend.
Kunst ist wahr und Kunst ist falsch
Kunst ist Licht
Kunst ist obfuskierend, stigmatisierend, selbstkritisch und herrlich (oder selbstherrlich)
Kunst ist Glaube
und Kunst erwartet nicht, der Betrachter erwartet Kunst
"KUNST ist..." (ist) also ein Werkzeug für Fragen - es ist keine Antwort an Sie, sondern meine Frage an Sie!
Also im Sinne von: "Was wollen wir denn mit der Kunst in Steffisburg?" "Wo findet sie statt", und "Wo geben wir ihr den Ort dafür? "
Oder haben sie vielleicht bereits eine Antwort auf diese Frage?
Wenn sie denn ihre Antwort mit mir teilen wollen - zukommen lassen, vorbeikommen um sie persönlich zu erzählen, oder schreiben wollen,
auf eine Plakatwand oder auf die Fassade der ebenselbigen Busstationswartehäusschenfassade, Wartestationbushäuschenfassade, dem Stationsbuswartefasssadenhäuschen oder
der Busfassadehäuschenwartestation schreiben, wird sie nach eingehender Prüfung und Abwägung,
Längen- und Sinneinpassung meinerseits auch einen Weg in die Lücken der Zeilen finden, die zu dem
Zeitpunkt immer noch eine Massivität der vorgehängten Sperrholzfassade vorgaukeln.
So kann Kunst sein.
1 der zur Eröffnung vorgetragene Text war ursprünglich mit "Ent-Kunst-ung", dann mit "...ein Werkzeug für Fragen" betitelt; in einer sich mehrmonatig entwickelnden Arbeit nehme ich mir aber die Freiheit den jetzige Titel als Passendsten einzusetzen.
2 apologetisch: verteidigend, rechtfertigend
3 palliativ: Beschwerde lindernd, aber nicht Ursache bekämpfend
4 Paradigma: Weltanschauung oder Lehrmeinung
5 Parthenogenese: Jungfernzeugung
"Kunst ist die Heimat der Fragen" 1
In dem Entschluss die alte Bus-Endstation zur Kunstzone zu erklären und mit der Beauftragung HansWalter Graf’s dem Haus eine Fassade zu schaffen, hat die Kunstkomission Steffisburg - als Verlängerung der Gemeinde und zumindest einiger Einwohner - der Kunst im Ort ein neues Gesicht gegeben.
Natürlich ist dieses Kunsthaus nicht der einzige Ort in Steffisburg, in dem Kunst gemacht oder gezeigt würde – das vorherige Kunsthaus oder die zwei Art Container Ausstellungen sind gewichtige Beispiele dieser anderen Kunst-Aktivitäten.
Nun aber beauftragt die Kunstkomission den Abriss dieses "Gesichts" - das kommt ja fast einer operative Entfernung dieses Symbols aus dem Herzen Steffisburgs gleich, einer "Ent-Kunst-ung" sozusagen.
Hätte man diesem Widerspruch auch anders begegnen können? Hätte man anstelle der Bezeichnung als Objekt "non grata" dies nicht als schützenswertes, neuzeitliches Bauwerk deklarieren können, nötige Befürworter finden, Einwände geltend machen und/oder Einspruch gegen den Bescheid erheben können?
Ist es auf Grund dieses Wissens, des Bewusstseins eigentlich Kunst entfernen zu müssen obwohl man ja Kunst fördern will - ist es also vielleicht eine Portion Gewissen die zu einer recht eigenwilligen Art des Abriss geführt hat?
Der Fassade, die als Kunstwerk geschaffen wurde, rückt man mit Kunst zu Leibe – das ist schon eine kreative Art Kunst noch einmal zu verwerten, zu recyceln: Künstler sind aufgerufen Kunst abzureissen!
Wie geht nun ein Künstler wie ich, der es liebt ortsspezifisch oder situativ zu arbeiten, dh auf einen Ort einzugehen, vor?
Den Abriss der vorgehängten Sperrholzfassade in Portionen zu bewerkstelligen sieht rein rechnerisch vor, dass jeder Kunstschaffende 20% dieser Holzverkleidung entfernt - ein kleiner Handlungsspielraum um auszudrücken was einem als Künstler wichtig ist.
Rechnerisch sind als Basrelief - dh subtrahierend gearbeitet – im Schnitt weniger als 3mm der Oberfläche zu entfernen. Oder eben 36m2 der gesamten Fläche zu entfernen - dies ist wiederum eine enorme Fläche gemessen an der üblichen m2 - Leistung eines Kunstmalers.
Falls einer zu wenig entfernt, darf der Nächste umso mehr abschlagen und der letzte hat von der ursprünglichen Fläche nur noch ein Fünftel zur Verfügung... Nüchtern betrachtet eine harsche Vorgabe.
Aber meine bohrenden Fragen drehten sich eher um "wo ist denn die Kunst in Steffisburg", um das "was machen denn die Künstler für Arbeiten", oder wer macht denn hier die Kunst" bis zu "was tun, wenn man die Kunst nicht findet", und wurden in meinem Kopf eigentlich zu einer zentralen Frage eingekocht: "was heisst denn Kunst in Steffisburg?", ja "was ist denn Kunst, auch in Steffisburg?
Nun wissen wir alle wie schwierig es ist solch eine Frage zu beantworten.
Karl Valentin sagte zB: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit"
Adorno drückt sich verwirrender aus: "Kunst ist Chaos in Ordnung zu bringen",
Böll meint schlicht: "Kunst ist Anarchie" und
Lawrence Weiner sagt: "Kunst ist Kommunikation"
Diese Beispiele zeigen auf wie wenig die Fragestellung hilft und wie diese vier Zitate die gewichtige Frage doch eher obfuskieren - ja, ich wähle jetzt absichtlich ein so fremdes Wort, da es seiner Bedeutung entspricht: Es vernebelt mehr als dass es aufzuklären hilft.
Und so kann man auch Ad Reinhardt's berühmten Satz der 60er Jahre verstehen:
"Kunst ist Kunst, und alles andere ist alles andere".
Aus diesen Gedanken kristallisierte sich also ein Konzept, das die Frage vor die Antwort stellt:
"Was ist KUNST?", fragt (sich) auch der Künstler, und antwortet vorerst:
"Kunst ist...."
Kunst ist Behauptung und Kunst ist Glaube.
Kunst ist verführerisch und Kunst ist unbequem.
Kunst ist störrisch, befremdlich, unverblümt und unwirtschaftlich.
Kunst ist Opfer und Macht.
Kunst ist apologetisch 2,
Kunst ist palliativ 3, Paradigma 4 und Parthenogese 5.
"Was ist KUNST?"
Kunst ist bedeutsam, unverblümt und Kunst ist befremdlich
Kunst ist tragisch, blauäugig, anbiedernd und manchmal beleidigend.
Kunst ist wahr und Kunst ist falsch
Kunst ist Licht
Kunst ist obfuskierend, stigmatisierend, selbstkritisch und herrlich (oder selbstherrlich)
Kunst ist Glaube
und Kunst erwartet nicht, der Betrachter erwartet Kunst
"KUNST ist..." (ist) also ein Werkzeug für Fragen - es ist keine Antwort an Sie, sondern meine Frage an Sie!
Also im Sinne von: "Was wollen wir denn mit der Kunst in Steffisburg?" "Wo findet sie statt", und "Wo geben wir ihr den Ort dafür? "
Oder haben sie vielleicht bereits eine Antwort auf diese Frage?
Wenn sie denn ihre Antwort mit mir teilen wollen - zukommen lassen, vorbeikommen um sie persönlich zu erzählen, oder schreiben wollen,
auf eine Plakatwand oder auf die Fassade der ebenselbigen Busstationswartehäusschenfassade, Wartestationbushäuschenfassade, dem Stationsbuswartefasssadenhäuschen oder
der Busfassadehäuschenwartestation schreiben, wird sie nach eingehender Prüfung und Abwägung,
Längen- und Sinneinpassung meinerseits auch einen Weg in die Lücken der Zeilen finden, die zu dem
Zeitpunkt immer noch eine Massivität der vorgehängten Sperrholzfassade vorgaukeln.
So kann Kunst sein.
1 der zur Eröffnung vorgetragene Text war ursprünglich mit "Ent-Kunst-ung", dann mit "...ein Werkzeug für Fragen" betitelt; in einer sich mehrmonatig entwickelnden Arbeit nehme ich mir aber die Freiheit den jetzige Titel als Passendsten einzusetzen.
2 apologetisch: verteidigend, rechtfertigend
3 palliativ: Beschwerde lindernd, aber nicht Ursache bekämpfend
4 Paradigma: Weltanschauung oder Lehrmeinung
5 Parthenogenese: Jungfernzeugung